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Rundes Tuerschild Mann und Frau

Frauen sollen aufräumen: Mit Klischees!



Das hier war ursprünglich ein Artikel, der sich mit der Thematik „Das Ungleichgewicht der Geschlechter in der IT-Branche“ auf die übliche Art und Weise befasst. Die übliche, genau. Man liest hier schon raus, dass es zu dem Thema bereits enorm viele Texte gibt. Diesem Universum wurde dann also ein weiterer hinzugefügt und wegen sonstiger Arbeiten eine ganze Weile ruhen gelassen und nun - komplett umgeschrieben. Ursprünglich angeregt durch einen Beitrag des Bayrischen Rundfunk vom 19. Juni 2020 [1], in dem es um die Frage geht: „Wer hat den Computer erfunden?“. Es wird dort folgerichtig zusammengefasst, dass es nicht den einen großen Erfinder gibt, wie das eigentlich mit allen großen Innovationen ist. Man schreibt dann von den „Vätern des Computers“ und „vielen Genen, vieler Väter“.

Im Jahre 2021.

Es juckt mich in den Fingern, an dieser Stelle im Text ein Bild von ausdrucksstarkem Augenrollen einzufügen.

Was hier ursprünglich stand, war also zunächst eine Zusammenfassung der berühmten und weniger berühmten Wissenschaftlerinnen, womit dargelegt wurde, wieso ohne deren Beitrag die Entwicklung der Informatik vermutlich längst noch nicht dort wäre, wo sie jetzt ist. Aber wozu? Darüber gibt es längst ein Meer an Arbeiten [2-5] und darüber hinaus ist die Informatikbranche keine Arena. Hier muss sich kein Geschlecht einem anderen beweisen, dem Code ist es auch reichlich egal, aus welcher Hand er fließt.

Mädchen hält die Hand des Roboters Pepper

Das vermutlich größere aktuelle Problem liegt auch gar nicht in der Branche selbst, sondern vielmehr im „Marketing und Recruiting“. Fragt man sich mal so durch bei Frauen, die bereits in Informatikberufen stecken, hört man eigentlich wenig bis gar keine Klagen. Es fühlt sich keine allzu exotisch, Nachteile in der Art der Aufgabenverteilung oder -beurteilung empfinden sie nicht und von sexistischen oder chauvinistischen Erfahrungen berichten tatsächlich die wenigsten. Es sind auch nicht direkt die Informatiker, denen nachgesagt wird, sie würden pfeifen und brünstig röhren, wenn eine Frau am Büro vorbei geht. Und ich wüsste auch von keinen Kalendern, in denen sich Ladies im Bikini auf Tastaturen aalen. Also wo liegt das Problem? Wieso ist der Ruf nach mehr Frauen in der IT-Branche so stark, wieso gibt es denn so wenige?

Dieser Frage sind natürlich bereits einige Institute nachgegangen. Es beginnt wenig überraschend spätestens in der Phase der Studienorientierung. Hier fehlt es oft an anschaulichen Informationen über die Vielfalt der Inhalte und Berufsaussichten der Informatikstudiengänge [6]. Aber auch da stellt sich die Frage: stört Männer dieser Mangel an Informationen jetzt weniger oder drängen schon da viel mehr Jungs in diese Richtung als Mädchen? Liegt das Problem womöglich schon weiter vorne in der Biographie? Vermutlich! Der Joballtag in IT-Berufen ist für beide Geschlechter mittlerweile weitestgehend gleichberechtigt. Die Ursache für den Mangel sitzt wohl tiefer, dort, wo Mädchen schon falsche Vorstellungen suggeriert werden vielleicht.

Es war einmal...

Hört auf mit Kindergeschichten, in denen Mädchen kein Mathe können oder dieses Fach furchtbar finden, ja beinahe müssen, um cool zu wirken, Muttis keine Ahnung vom Computer haben und Jungs die besseren Problemlöser sind, die als heldenhafter Retter einspringen. Das sind Kinderbücher und Hörspiele wie Bibi Blocksberg, die Mathe blöd, langweilig und schwer findet und ohne ihren Freund Florian, der ein kleiner Nerd ist und viel am Computer macht, keine Chance bei den Hausaufgaben hätte. Pippi Langstrumpf kann das Wort „Multiplikation“ nicht mal aussprechen und hält es auch für unwichtig. Eine solche Liste kann endlos weiter geführt werden. Und ich will hier keineswegs die beiden Beispielprotagonistinnen schlecht reden! Wirklich, Bibi und Pippi sind davon abgesehen tolle Mädchen und geben prima Vorbilder ab. Nur eben gerade deshalb wäre es doch schön gewesen, diesen Aspekt noch mitzunehmen; Mathe ist nicht der Feind!
Es wird ja besser, das stimmt definitiv. Die Kinder- und Jugendliteratur geht längst nicht mehr so unschönen, veralteten Rollenbildern nach. Aber es ist noch immer viel Luft nach oben. Erfindergeist und Freude am Lernen werden noch nicht ausreichend glorifiziert. Das System Schule an sich ist da allerdings hierzulande auch eher kontraproduktiv. Denn wäre es weniger eine Fehler- und Schwächenkultur, gäbe es für die Schüler*innen auch mehr Erfolgserlebnisse und eine höhere Motivation. Aber das ist ein anderes, sehr großes Thema.

Frau hält Kissen mit der Aufschrift Kunst ist wichtiger als Mathe

Dass Mädchen eher für die kreativeren Bereiche geeignet sind, mag für Einzelne stimmen, aber für nicht genügend, um eine pauschale Aussage daraus zu machen. Die Annahme, Jungen seien eher technisch begabt, während Mädchen Sprachen besser lägen, ist sogar in doppelter Hinsicht fragwürdig: zum einen stimmt es so pauschal schon mal gar nicht, zum anderen ist eine Sprachbegabung (egal ob nun bei Jungen oder Mädchen) äußerst hilfreich beim Programmieren, da auch hier ein gutes Gefühl für Grammatik nötig ist, man einige Vokabeln lernen muss und elegantes Anwenden der Programmiersprachen schöner ist als hilfloses Herumstottern.
Es gibt auch aus neurologischer Sicht keine signifikanten Unterschiede im menschlichen Gehirn und schon gar kein geschlechtstypisches Verhalten, so die Neurowissenschaftlerin Daphna Joel. Sie hat zusammen mit Kolleg*innen der Universität Tel Aviv, dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und der Universität Zürich Daten zu Hirnscans von über 1400 Personen untersucht und kam zu dem Ergebnis, “dass es in den untersuchten Eigenschaften in nur 0 bis 8 Prozent der Fälle völlig konsistent weibliche oder männliche Merkmale im Gehirn gibt. 23 bis 53 Prozent wiesen Merkmale von beiden Enden des “Männlichkeits-” bzw. “Weiblichkeitsspektrums” auf, der Rest bewegte sich irgendwo dazwischen und wies somit vor allem Merkmale aus der Mitte des Spektrums auf.” [7] Dieser Studienbericht blieb natürlich nicht ohne Kritik, aber die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es auch keinesfalls ausreicht, einfach bei „isso“ zu bleiben und wie üblich von vorbestimmten Unterschieden im Denken und Verhalten zwischen den Geschlechtern auszugehen.

Wenn man gemeinsames Arbeiten wünscht, muss gemeinsame Bildung erst recht möglich sein!

Zurück zur Frage, wie sich mehr Mädchen für’s Programmieren interessieren können und dabei bleiben. Der Women in Tech Report von PwC (2018) [8] verdeutlicht unter anderem einen ganz wichtigen Aspekt. Nämlich die Sichtbarkeit von Frauen in der Branche! Demnach können nur „11% der Befragten eine berühmte Frau nennen, die in MINT-Berufen arbeitet oder gearbeitet hat, und zwar: Marie Curie, Ada Lovelace, Angela Merkel und Lise Meitner“. Glückwunsch! Nur eine dieser Frauen lebt in diesem Jahrhundert und diese ist nicht mal für ihre Tätigkeit im MINT-Bereich berühmt. Und jetzt Achtung, „25% der befragten jungen Menschen können einen entsprechenden berühmten Mann nennen, und zwar sind das: Steve Jobs, Bill Gates, Albert Einstein, Mark Zuckerberg, Elon Musk, Stephen Hawking und Isaac Newton“. Man kann nur hoffen, es wurden einfach zu wenige oder keine repräsentative Mischung junger Menschen befragt.
Wichtig ist aber auch, deutlich darzustellen, dass Software-Entwickler*in ein völlig normaler Beruf ist. Wer sich als Frau hier wohl fühlt, könnte darüber hin und wieder etwas in in den sozialen Medien berichten. Und wenn es nur ein Bild des Laptop in einem gemütlichen Café ist, weil man prima von überall aus arbeiten kann. Oder mit der Nichte, Nachbarin oder Tochter der Freundin darüber reden. Es ist gar nicht nötig, so zu tun, als wäre es für Frauen nur dann lohnenswert, wenn man mindestens mit Konfetti, wenn nicht sogar mit allerlei akademischen Titeln beschmissen wird.

Drone

Aber wo wir gerade bei Sichtbarkeit sind - wir können ja selbst ein paar tolle Programmiererinnen vorzeigen. Unsere Kollegin Sandra zum Beispiel. Sie hat ihre Berufswahl letztendlich ihrem Vater zu verdanken, der so klug war, sie statt zur Blockflöten- in die Computer-AG der Schule zu schicken, nachdem er lange genug zuschauen musste, wie sie den heimischen PC zum Zocken blockiert. Dabei hat er es aber nicht belassen. Er saß regelmäßig dabei und hat mit ihr gelernt, einfach, weil er die Aufgaben selbst spannend fand. Niemand hat dabei thematisiert, dass es in irgendeiner Weise eine Männerdomäne wäre.
Bei unserer Kollegin Daniela war es ähnlich. In ihrer Familie ist sie über mittlerweile zwei Generationen von Informatikern umgeben und weil auch dort niemand so getan hat, als wäre das nichts für Mädchen, hat sich so ihr Interesse entwickelt und schließlich verfestigt, als ihr Vater mit ihr zusammen Roboter programmiert hat.
Auch bei Marlene Böhmer von der Universität des Saarlandes, die kürzlich für ihre Arbeit über das Kommunikationsverhalten cyber-physikalischer Netzwerke am Beispiel von Flugdrohnen mit dem MINT-Award ausgezeichnet wurde [9], war das Interesse schon früh da und wie Sandra hat auch sie sich besonders dafür interessiert, wofür man Computer sinnvollerweise alles einsetzen kann. Allen gemein ist, dass sie im Informatikunterricht in der Schule (sofern sie dort überhaupt die Möglichkeit hatten) und im Studium zwar relativ in der Unterzahl waren, aber nicht eine empfand dies als unangenehm oder sogar als Nachteil.
Es scheint allgemein ein grundlegender Wunsch zu sein, als Frau nicht gesondert behandelt zu werden. Keine Frau will an ihrem Geschlecht gemessen oder vorsortiert werden und zwar weder in die eine, noch in die andere Richtung. So sagt auch Marlene Böhmer, dass sie zwar das Argument verstehen kann, dass man mit Förderung von Frauen versucht, ein Gleichgewicht herzustellen, was dann wiederum Vorurteile in der Gesellschaft abbaut. Darüber hinaus können zu weitgehende Maßnahmen oder eine zu starke Betonung der Unterschiede aber sehr schädlich sein. Monoedukative Studiengänge zum Beispiel würden die vorhandene Unterscheidung der Geschlechter noch sichtbarer machen und dazu verleiten, anhand des Geschlechtes Schlüsse zu ziehen und sollten daher sehr kritisch betrachtet werden. Wenn man gemeinsames Arbeiten wünscht, muss gemeinsame Bildung erst recht möglich sein.

Ein ebenfalls wichtiger Aspekt, wieso eine heterogene Mischung der Geschlechter im Informatikbereich so wichtig ist, wird von Prof. Dr. Katharina Zweig in ihrem Buch „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl“ erwähnt: fehlende Daten von Frauen führen allzu oft zu Verzerrungen und „wenn Personengruppen in Daten nicht vorkommen, können deren Eigenschaften nicht mitgelernt werden.“ Besonders deutlich wird das an ihren Beispielen aus Bild- und Spracherkennung: „Bilderkennungssysteme benötigen repräsentative Daten von allen Menschen, um beispielsweise Hände und Gesichter mit verschiedenen Hautfarben zu erkennen und um Melanome von harmlosen Leberflecken zu unterscheiden. Auch Sprachsysteme brauchen Input von vielen Personen, damit insbesondere Personen mit Akzenten, Dialekten und Sprachbehinderungen genauso gut verstanden werden wie gesunde Muttersprachler:innen. Die Soziolinguistin Rachael Tatman berichtet auf ihrem Blog vom Juli 2016, dass das damals beste Spracherkennungssystem von Männern ausgesprochene Wörter statistisch signifikant besser erkennt als Äußerungen von Frauen. 2017 wiederholte sie den Versuch und konnte zwischen den Geschlechtern keinen Unterschied mehr feststellen.“ [10]
Diese ganze Problematik der Homogenität bei Entwicklungen lässt sich also nachweislich verbessern, wenn von Anfang an mit mehr Vielfalt an Prozessen gearbeitet wird.

Für die KI-Gesundheitstechnologie beispielsweise wurde erst kürzlich der sogenannte „embedded ethics approach“ [11] konzipiert. Ein Pilotprojekt der Forschungszentren der TUM, der Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM) mit Direktor Prof. Sami Haddadin und dem Munich Center for Technology in Society (MCTS) mit Prof. Ruth Müller. Dieser Ansatz soll dazu beitragen, dass soziale, ethische und rechtliche Fragen von der Planungs- bis zur Implementierungsphase berücksichtigt werden. Dabei hilft es natürlich enorm, wenn auch innerhalb dieses Projekts auf eine hohe Diversität geachtet wird.

Informatiklehrerin mit Schülerin vor Whiteboard

Aber schon in den Schulen fehlt es ja an Informatiklehrerinnen. Wir drehen uns bei der Frage nach Optimierungsmöglichkeiten in immer engeren Kreisen um die Phase Oberstufe-Studium. Dort angesetzt könnte man womöglich am ertragreichsten werben. Was Hochschulen laut CHE tun können und sollten, ist unter anderem ein deutlich aussagekräftigeres Marketing zu betreiben. Und damit ist keinesfalls gemeint, ein „positiv verzerrtes Bild der Informatik (zu) kreieren. Studienanfänger*innen sollten realistische Erwartungen entwickeln können und das Gefühl haben, gut durch die Höhen und Tiefen des Studiums begleitet zu werden. Im Rahmen eines digitalen Marketings sollten neben der Webseite der eigenen Einrichtung auch andere bestehende Kommunikationskanäle genutzt werden wie z.B. die Hochschul-Facebook-Seiten, ein eigener YouTube-Kanal und Twitter-Account oder andere soziale Netzwerke, die von der Zielgruppe genutzt werden.“ [6]

Fassen wir kurz zusammen

Wenn man schon gegenüber Kindern anfängt, bei Computerproblemen auch mal Frauen zu fragen, statt ganz automatisch nach einem Mann Ausschau zu halten. Bei Literatur und Medien ein Auge darauf hat, wie das Rollenverständnis aufbereitet wurde. Und interessierten Schüler*innen Möglichkeiten bietet, digitale Hobbys zu vertiefen, wie das hier in Saarbrücken zum Beispiel beim CoderDojo Saar [12] unter der Leitung von Dipl.-Inf. Kerstin Reese der Fall ist. Oder Unterrichtsmaterialien erweitert wie zum Beispiel mit Foldio [13]. Dann kann aus Neugier echtes Interesse werden, was sich dann womöglich zu einem Berufswunsch formt. Damit dieser dann konsequent verfolgt werden kann, sollten Fach-/Hochschulen ihren Beitrag leisten, indem sie ein transparenteres Bild bieten, ohne, zwar bestimmt gut gemeint, aber eben doch stigmatisierend zu sehr eine (nicht einmal vorhandene) Hilfsbedürftigkeit von Frauen in Szene zu setzen. Dann haben wir in Zukunft ein ausgewogeneres Verhältnis aller Geschlechter in der Informatik und das wird mit Sicherheit eine sehr bereichernde (Achtung, Wortspiel!) Entwicklung.

Referenzen